In meinem letzten Vortrag an der Wiener Schule für Osteopathie (WSO) habe ich über ein spannendes, aber leider noch immer stark tabuisiertes Thema gesprochen: Sex im Alter
Sex im Alter. Oder einfach Sex.
Sex im Alter ist ein gesellschaftliches Tabuthema. Immerhin sollte man jenseits der Lebensmitte doch andere Probleme erwarten als Bettgeschichten, oder? Denkt man ab 50 überhaupt noch an Sex? Und darf man das? Die heutige Gesellschaft behandelt ältere Menschen wie asexuelle und ignoriert das Bedürfnis dieser Gruppe nach Intimität und Nähe. In diesem Artikel erfahren Sie, warum das vollkommener Blödsinn ist und warum wir viel mehr über Sex im Alter reden sollten.
In unseren jungen Jahren sind wir ja von vielen Dingen überzeugt. Unter anderem auch davon, am Höhepunkt unserer Sexualität zu sein. Ja, regelrechte DraufgängerInnen sind wir. Das erste Mal mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht und schon geht es los. Egal, ob in rosabebrilllten Langzeitbeziehungen oder mit wechselnden SexualpartnerInnen. Wir leben uns so richtig aus, entdecken, was uns gefällt und lassen uns auf Neues ein. Was soll danach noch kommen?
Was wir mit naiven zwei Jahrzehnten “Erfahrung” noch nicht wissen: Mit 40 wird es dann nochmal besser! Aber auch in der Midlife-Etappe trauen wir dem Frieden im Bett nicht. Wir sind davon überzeugt: Das war’s dann jetzt. Und wieder hat sich in unserem Großhirn ein falsches Bild ergeben, das wir spätestens mit 60 widerlegen können. Denn man hat selbst mit Pensionistenausweis in der Tasche immer noch Lust auf Sex. Oha!
Und obwohl sich unser Körper verändert, altert und das ein oder andere Körperteil vielleicht mittlerweile aus medizinischem Kunststoff ist und die Knie nicht nur beim Stellungswechsel knacken, haben wir immer noch das Bedürfnis nach körperlicher Nähe, nach Streicheln, nach Orgasmen.
Sex spielt immer eine Rolle. Nur anders.
Ich habe bereits erwähnt, dass wir mit 20 besonders leistungsfähig sind. Wir sind allerdings in unserer Sexualität auch besonders leistungsorientiert. Und oftmals zu Dingen bereit, auf die wir gar nicht wirklich stehen. Das Tolle mit zunehmender Reife ist vor allem der Verlust dieser Leistungsorientierung. Wir haben und nehmen uns mehr Zeit, die Liebe rückt in den Vordergrund und statt schnellen, lauten Höhepunkten streben wir schöne Stunden zu zweit an.
Das größte Problem im Alter ist also nicht das fehlende Bedürfnis nach Sex, sondern das keiner darüber spricht. Wenn es nicht gerade um die klassische erektile Dysfunktion geht, schweigen sowohl ÄrztInnen als auch PatientInnen. Dabei gibt es hier genug Redebedarf. Seelische Fragen wie sexuelle Kommunikationsprobleme, mangelnde Zärtlichkeit in bestehenden Beziehung oder aufgrund eines fehlenden Partners beschäftigen Männer und Frauen in späteren Lebensphasen genauso wie die “Jungen”.
Außerdem kommen Sorgen bezogen auf den körperlichen Zustand hinzu. Dazu gehören der Umgang mit Nebenwirkungen von Medikamenten, physische Einschränkungen oder Vorerkrankungen. Vor allem Frauen belastet zudem der Verlust ihrer Jugend. Viele Menschen wollen darüber reden. Die Gesellschaft öffnet sich aber nur langsam dem Thema der lebenslangen Sexualität.
Stattdessen werden sogar in Pflege- und Altenheimen Maßnahmen getroffen, damit Sex nicht zum Thema wird. So müssen selbst Paare in solchen Einrichtungen geschlechtergetrennt schlafen. Wie gut, dass Elfriede Vavrik nicht in einem solchen Heim untergebracht war. Sie ist Autorin und eine der Frauen, die gerade dazu beiträgt das Thema Sexualität im Alter an die Gesellschaft zu tragen. Und zwar mit ihrem Buch “Nacktbadestrand”, in dem sie erzählt, dass sie mit 79 Jahren nochmals zu ihrer Sexualität gefunden hat.
Warum die Enttabuisierung von Sex im Alter eine Rolle spielt.
Sex ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Er ist gesund, macht gute Laune und fühlt sich einfach gut an. Und seine Bedeutung nimmt im Laufe unseres Lebens nicht ab. Im Gegenteil: In der Berliner Altersstudie II wurde anhand von 1500 Befragten herausgefunden, dass 30 % der älteren Erwachsenen sogar sexuell aktiver waren als der Durchschnitt der Jungen. Ein ähnlicher Prozentsatz denkt viel an Sex. Die Mehrheit fühlt sich allerdings nicht in der Lage, das Thema Sex bei ÄrztInnen zu thematisieren. Dabei soll gerade medizinisches Personal dazu beitragen mit den Veränderungen im Alter umgehen zu können und wieder Zärtlichkeit zu erleben.
Mein Tipp für Menschen, die sich mit Sex im Alter auseinandersetzen wollen.
Holen Sie sich professionelle Unterstützung. Sprechen Sie Probleme bei vertrauensvollen ÄrztInnen einfach an oder suchen Sie sich eine passende (Sexual-)Therapeutin. Sie werden nicht glauben wie vielen Menschen es ähnlich geht. In meiner Praxis habe ich täglich mit Menschen zu tun, die ihre Leidenschaft weiter ausleben wollen. Und bald werden Sie merken, dass es mit den richtigen Rahmenbedingungen, Einfühlungsvermögen und etwas Humor gar nicht schlimm ist über Sex zu sprechen. Es ist sogar befreiend. Hier können Sie sich einen Kennenlerntermin vereinbaren!
In der Zwischenzeit können Sie Bücher zu dem Thema lesen oder Filme zur Thematik schauen. Meine Empfehlungen sind Soul Sex von Regisseurin Erika Lust. Hier finden Sie den Trailer zum Film. Und als Lektüre zum Thema, das oben bereits erwähnte Buch “Nacktbadestrand” von Elfriede Vavrik.
Den Blogbeitrag schließe ich mit einem Zitat von Modeschöpferin Coco Chanel, die ihrer Zeit sagte: “Alter schützt vor Liebe nicht, aber Liebe vor dem Altern.” In diesem Sinne hoffe ich, dass der Artikel Mut gemacht hat, sich mit dem Thema lebenslange Sexualität auseinanderzusetzen und zu lernen mit den Veränderungen – innerlich wie äußerlich – auch im Bett umzugehen.